Mit der Kristallkugel in die Zukunft?

01.11.2013 09:00 von Ingo Nöhr

Wir danken dem Verlag MEDI-LEARN.net GbR für die freundliche Erlaubnis, Cartoons von Rippenspreizer verwenden zu dürfen. Mehr Cartoons sind unter http://www.medi-learn.de/cartoons/ zu finden.
Vielen Dank MEDI-LEARN.de!

Der regnerische Novemberabend hatte bei  Jupp eine schwere Depression ausgelöst.  Mit Grabesstimme und trübseligem Blick empfing er mich zu unserer allwöchentlichen Sitzung in der Eckkneipe. „Mensch Jupp, was ist denn mit dir los?“ –

 „Ich glaube, wir Medizintechniker gehören einer aussterbenden Art an. Vorbei sind die seligen Zeiten, wo wir Medizingeräte noch selbst repariert oder verbessert haben. Damals konnten wir alle noch die physikalische Funktionsweise und den direkten Nutzen für den Patienten nachvollziehen. Und heute …?  Wer weiß,  wo das in zehn Jahren noch hinführen wird.“

Inhaltsschwer ließ er die anklagenden Worte in der nunmehr rauchfreien Luft hängen. Da half nur ein mutiger Gegenangriff. 

„Jupp, ich weiß nicht, was du meinst. Die Medizintechnik hat in den letzten Jahrzehnten doch gewaltige Fortschritte gemacht. Schau dich doch nur mal in den MEDICA-Ankündigungen um. Die Op-Roboter sind wieder stark im Kommen. Die Neurochirurgen benutzen millimetergenaue Navigationssysteme und spazieren damit virtuell im Gehirn herum.“

„Ingo, hast du schon mal einen Op-Roboter repariert? Jedes der Roboterinstrumente darfst du nur zehnmal benutzen, dann mußt du sie wegschmeissen. Der Roboter zählt genau mit.“

„Aber Jupp, den Siegeszug der Roboter kannst du garnicht mehr aufhalten. Jetzt mähen sie schon automatisch den Rasen oder staubsaugen die Wohnung. In zwei japanischen Krankenhäusern sind  probeweise sieben Pflegeroboter erfolgreich im Einsatz.“

Jupp’s Miene hellte sich etwas auf, als er mir in visionären Worten seine Vorstellungen vom Design und der Funktion seines weiblichenWunsch- Roboters schilderte. Aus Gründen des Anstands und zur Vermeidung sexueller Diskriminierung verzichte ich hier lieber auf die Wiedergabe der wörtlichen Rede.

„Jupp, kommen wir zurück auf unseren Berufsstand. Den MT-Roboter wird es noch lange nicht geben. Wir Medizin-Ingenieure sind doch weltweit gefragt. Die Exporteure der deutschen Medizintechnik haben das große Problem, in den Kundenländern eine medizintechnische Infrastruktur für ihre Systeme aufzubauen. Dazu muß eine Vielzahl von Technikern, Bedienern und Händlern in Trainingszentren vor Ort geschult werden.“

„Aber Ingo, ich will doch nicht als Trainer nach Saudiarabien oder Nordafrika. Da ist es zu heiß, zu unsicher und außerdem gibt es dort kein Bier.“

„Jupp,interessiert dich das denn nicht mehr? Hier: – die Innovation schläft nicht: Die Experten für das Tissue-Engineering nutzen den patienteneigenen Körper als Bioreaktor und züchten insulinproduzierende Zellen oder Knochensubstanz für neuartige Endoprothesen.
Oder schau mal nur das „Bionische Auge“ - die Netzhautprothese. Damit können Blinde plötzlich wieder etwas sehen. Und mit einem Cochlea-Implantat können die Tauben wieder hören. Und mit nervengesteuerten Beinprothesen können Lahme wieder gehen. Das sind doch Zustände wie in der Bibel.  Ist das nichts?“

„Ingo, das ist seriöse Wissenschaft. Mein Zahnarzt hat sich jetzt für viele Tausend Euro ein Bioresonanztherapiegerät angeschafft. Den gleichen Preis hat er dann noch mal für die Schulung bezahlt. Jetzt diagnostiziert und therapiert er am laufenden Band Amalganvergiftungen und andere Allergien mit quantenphysikalischen Methoden und die Patienten rennen ihm die Bude ein. Und weißt du, wie das funktionieren soll?“

„Nun, ich denke mal, das klingt nach der ehrwürdigen Schamanenmedizin und funktioniert mit dem Placebo-Effekt. Man muss fest daran glauben.“

„Genau, das ist Voodoo-Medizin. Das Gerät nimmt das biophysikalischen Schwingungsmuster  deiner Zellen auf, erkennt die schlechten Frequenzen, kehrt sie um und schickt sie phasenverschoben wieder in deinen Körper zurück. Durch diese Umpolung wird die Krankheit einfach ausgelöscht.  Berg auf Tal ergibt Null, einfaches Interferenzprinzip. Aber es kann auch  heilende Schwingungen gegen deine Allergene produzieren.“

„Faszinierend. Der nächste Medizin-Nobelpreis ist dem Erfinder schon sicher. Das ist doch genau meine Argumentation: die Patienten wollen immer mehr Hochtechnologie und vertrauen nur noch der komplizierten Medizintechnik. Da brauchen sie uns!“

„Und mein Zahnarzt, der Dussel glaubt auch an den Unsinn. Ich habe ihn dann gefragt, wie er mir als studierter Akademiker denn erklären kann, dass nur die kranken Strahlen und nicht auch die gesunden mit umgepolt werden. Und ob er jetzt nicht ohne Narkosemittel  Zähne ziehen kann, indem er die Schmerzsignale einfach in Lustsignale invertiert. Da war dann Schweigen im Walde. Das ist doch reiner Betrug, medizintechnische Scharlatanerie. “

„Na klar, Jupp, das hört sich für uns nach Science Fiction an. Aber lies mal diese MEDICA-Meldung mit Patientenaugen:  Die molekulare Bildgebung macht markierte Antikörper und damit spezifische Organfunktionen sichtbar. Da kannst du schon vor Ausbruch der ersten Symptome mit der Therapie anfangen. Der MRT erkennt kranke Zellen und der Bioresonanzer eben kranke Frequenzen. Für normale Menschen klingt beides verrückt oder gleichermaßen zukunftsweisend.“

„Ingo, es gibt ganz klar die Gegentendenz. Eine große Gruppe von Patienten will weg von der Apparatemedizin und von den Pillen. Sie schlucken lieber homöopathische Globuli, Bachblüten oder Schüßler Salze, die garantiert keine Wirkstoffe enthalten, sondern nur ein mysteriöses Gedächtnis der heilenden Substanz. In meiner Apotheke kannst du jetzt Magnet- und Kupferarmbänder kaufen, weil Paracelsus schon vor 500 Jahren die Wirkung gepriesen hat. Wir sollten wieder auf Aderlaß und Schröpfen umsteigen.“

„Jupp, du bringst mich auf eine Idee. Aus der Türkei habe ich ein Nazar-Amulett gegen den bösen Blick mitgebracht. Das haben die da zentnerweise verkauft. Meinst du, ich könnte mal mit deiner Apotheke über eine größere Lieferung verhandeln…?

„Ingo, unterstehe dich, den Aberglauben bei uns auch noch zu unterstützen. Das nimmt ja gar kein Ende mehr. Die Europa-Universität Viadrina haben die Esoteriker schon teilweise unterwandert. Eine Masterarbeit befaßte sich dort mit der Fähigkeit eines speziellen Spiegels, Hellsehen sowie Kontakte zu Außerirdischen und Verstorbenen möglich zu machen.  In der Uniklinik Eppendorf und in einigen anderen Krankenhäusern haben sie die Kreisssäle nach Feng Shui eingerichtet. Und etliche Häusern haben Alubleche zur Abschirmung von Erdstrahlen installiert, die von schädlichen Wasseradern ausgehen.“

„Ich verstehe das, Jupp. Die Krankenhäuser müssen sich immer mehr um das Einfangen von Patienten kümmern, sonst gehen sie pleite. Also wollen sie sich aus der Masse ihrer Kollegen herausheben und etwas ganz Besonderes anbieten.  Und mit Placebos und dem Warten auf das Einsetzen der Selbstheilungskräfte lassen sich doch auch gute Erfolge erzielen.“

„Also, Ingo. Ich sehe da  nur einen einzigen positiven Effekt. Mit diesem billigen Humbug können wir den finanziellen Zusammenbruch unseres Gesundheitssystems noch ein paar Jahre aufschieben. Die Patienten sind zufrieden, die Ärzte verdienen, nur die Medizintechniker braucht man nicht mehr. Die Heiler werden ihre funktionslose Technik selbst durch Handauflegen und kosmische Strahlen reparieren können. Und irgendwann macht es dann PENG! - Und unser schöner Euro ist Geschichte.
 Auf die Zukunft danach, prost!

„Prost Jupp. Du mußt dir unbedingt auf der MEDICA  den High-Noon- Kampf von Technik und Esoterik gegen den Menschen anschauen. Jeden Mittag um 13 Uhr  treten sie gegeneinander in insgesamt drei Runden an.  Es verspricht spannend zu werden. Das wird deine Stimmung bestimmt aufhellen.“

Wir sehen uns.

 Also nicht vergessen: MEDICA Halle 15 A03 KKC. 
Täglich von 13:00 – 13:30 Uhr Schaukampf Arzt gegen Patient

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