Über Populisten und Klinik-Killer

01.08.2019 09:00 von Ingo Nöhr

Der extrem heiße Juli geht als Rekordmonat in die Geschichte der Meteorologie ein. Die Proteste gegen Hongkongs Regierung weiten sich aus und beschäftigen allmählich ganz China. Am Golf riecht es wieder nach Krieg. An den Bahnsteigen geht die Angst vor ausrastenden Psychopathen um. Ein japanischer Forscher darf Mischwesen aus Tier und Mensch erzeugen und bis zur Geburt als menschliches Ersatzteillager heranreifen lassen. Gerät die Zivilisation langsam aus den Fugen? Naht jetzt der Umbruch, den Ingo schon lange erwartet hat? Irritiert vom rasenden Wandel der Welt treffen sich die beiden Pensionäre zu Meinungsaustausch bei ihrem monatlichen Stammtisch.

Hallo Ingo, siehst du auch schon doppelt? Für Donald Trump hat sich ja nun ein Wunsch erfüllt, nachdem er zweimal im Frack diese „olle Schachtel“, die Queen ertragen musste. Sein Sangesbruder Boris Johnson, der neue Britain Trump will nun auch das Vereinigte Königreich "zum großartigsten Land der Erde" machen, so versprach er es in seiner ersten Parlamentsrede als Premierminister. In 30 Jahren soll Großbritannien dann die am meisten florierende Wirtschaft Europas und somit das Zentrum eines neuen Netzwerks an Handelsabkommen sein. Vor kurzem meinte er allerdings noch: „Meine Chancen, Premierminister zu werden, sind in etwa so gut, wie die Chance, Elvis auf dem Mars zu finden, oder dass ich als Olive wiedergeboren werde.“

  • Schön gebrüllt, Jupp. Sein Königreich könnte allerdings empfindlich schrumpfen, wenn nach dem Brexit Schottland und Irland die Unabhängigkeit anstreben und sich wieder unter den lukrativen Schirm der EU begeben wollen. Allerdings darf man Boris Johnson keinesfalls unterschätzen. Er ist intelligent und hochgebildet: Eton und Oxford-Absolvent, kennt sich in Brüssel bestens aus. Als höchst erfolgreicher liberaler Bürgermeister von London demonstrierte er Humor, Selbstironie und Toleranz gegenüber Minderheiten und Ausländern. Seine Familienmitglieder sind allesamt Pro-Europäer, auch er will nur einen besseren Deal mit der EU aushandeln. Seine Rolle als politischer Clown ist möglicherweise nur perfekt gespielt und er könnte uns alle noch überraschen.

Ingo, du siehst aber auch, dass die Populisten immer mehr Land gewinnen. Mittlerweile sind ringsherum in Europa die rechtspopulistischen Parteien in den meisten Parlamenten vertreten. Plötzlich tauchen Komiker und Schauspieler in den Regierungsämtern auf. Europäische Idee? War da mal was? Na ja, die EU schiebt ihnen wenigstens noch ordentliches Geld rüber.

  • Es sind nicht nur dumpfe Neonazis und Nationalisten, die diesen Rechtsruck verursachen. Jupp, es ist doch meine alte Prophezeiung: Immer mehr Protestler und bisherige Nichtwähler haben erkannt, dass sie mit ihrem Kreuz auf die Wahllisten die etablierten Parteien in Panik versetzen können. Die Verlierer entdecken plötzlich ihre Macht. In Italien haben 84% der Bürger kein Vertrauen in die Parteien. Die Hysterie nach der letzten Europawahl hat ja Erstaunliches in deutschen Regierungen bewegt. Die kurzsichtigen Konzepte der herrschenden Klassen haben sich bei den jetzigen und noch bevorstehenden Krisen als wirkungslos erwiesen. Populisten sind Politiker, welche die Ängste einiger Bevölkerungsschichten mit pauschalen Schuldzuweisungen verstärken, um bekannt zu werden und Wähler zu gewinnen. Diese Technik beherrschen auch unsere etablierten Parteien sehr gut.

Ich glaube, der Trend nach Rechtspopulismus wird sich überall verstärken. Sieh mal Ingo: von über 24.000 Rechtsextremen ist die Hälfte aktiv, auch im Verfassungsschutz, in der Polizei und Bundeswehr. Die Existenz von Feindeslisten mit 25.000 Namen und Adressen wird überraschend ratlos hingenommen.

  • Die Ursachen liegen tiefer, Jupp. Die Schere zwischen den Marktgewinnern und den zunehmend verarmenden Verlierern öffnet sich weiter. Nur ein Beispiel: ausgerechnet an dem Tag, an dem in London die ersten von insgesamt 18 000 Angestellten der Deutschen Bank gefeuert wurden, erschienen Nobelschneider, um die Führungsriege mit maßgeschneiderten Anzügen auszustatten.  Die Verrohung der Politik springt auf die Gesellschaft über. Die menschenrechtsverletzenden Reaktionen der Regierungen in den USA, in Russland und China gegen ihre Kritiker prägen eine ganze Generation. Und sie sind erfolgreich: Donald Trump hat gute Chancen, wiedergewählt zu werden. China übernimmt zunehmend die technologische Führung in der Welt und überwacht bald permanent jeden einzelnen Bürger. In Russland werden wieder viele Museen und Denkmäler zu Ehren des Massenmörders Stalin eröffnet. Und die EU: Sie verzettelt sich wieder einmal in unzählige Kleinkriege. Ich fürchte, unsere Zensursula wird in ihrer neuen Position als Kommissionspräsidentin außer vielen Sprüchen nicht viel bewegen können.

Tja Ingo, wer hätte das gedacht? Die Weltpolitik wird immer spannender und leider auch haarsträubender, angesichts des zunehmenden Waffengerassels. Schauen wir doch mal auf unsere deutsche Krankenhaus-Szenerie. Die aktuelle Studie der Bertelsmann-Berater empfiehlt einen radikalen Abbau der meist öffentlichen Kliniken. Nur 600 der heute 1.600 Krankenhäuser sollen diesen Kahlschlag überleben. Danach hätten wir keine Probleme mehr mit Überversorgung der Patienten, mit Ärztemangel und Pflegenotstand. Trotz besserer Ausstattung, höherer Spezialisierung und besserer Betreuung würden die Kosten unseres Gesundheitssystems gewaltig reduziert.

  • Also Jupp, hier siehst du mal einen typischen Versuchsballon in der Politik. Mit lautem Knall starten, das Echo abwarten, die Widerstände analysieren und dann unbemerkt vom medialen Getöse insgeheim die echte Planung optimieren. Kurz vorher hatte Gesundheitsminister Jens Spahn noch verkündet: „Ein Krankenhaus vor Ort ist für viele Bürger ein Stück Heimat.“ Allerdings hat er den Umkreis eines Ortes nicht konkret beziffert. Nach den Bertelsmännern kann das Stück Heimat durchaus hundert Kilometer umfassen. Nebenbei bemerkt: wir hatten ja schon bei unserem letzten Treffen hier im März festgestellt, dass bei einer Gesundung unserer Bevölkerung die deutsche Wirtschaft zusammenbrechen würde.

Aber Ingo, dass wir uns in Deutschland noch zu viele Kliniken vor allem in den Ballungsgebieten leisten, wirst du nicht abstreiten wollen. Die Bertelsmann-Stiftung als „die deutsche Reformwerkstatt und Denkfabrik“ ist ja nicht irgendwer, sondern hat schon Gewicht und Einfluss auf die Politik.

  • Da gebe ich dir recht, Jupp. Der Bertelsmann Konzern ist als einer der weltgrößten Medienunternehmen in rund 50 Ländern der Welt tätig und beschäftigt 117.000 Mitarbeiter, die 2018 einen Umsatz von 17 Milliarden Euro erwirtschaften. Ihm gehören die RTL-Gruppe, Vox, n-tv, 120 Einzelverlage, Gruner + Jahr mit rund 300 Zeitschriften, dazu das Musikunternehmen BMG und etliche andere Unternehmensgruppen. 1835 als Familienunternehmen gegründet, erreicht der Konzern in Zusammenarbeit mit anderen Medienhäusern zur Vermarktung der Werbeplätze mit der „Ad Alliance“ über 99 Prozent der deutschen Bevölkerung. 

Beeindruckend, Ingo. Also, wenn ein derartiger Elefant in der Medienlandschaft so eine provokante Studie herausgibt, kann er sicherlich etwas bewegen. Too big too fail, würde ich sagen. Schließlich beruft sich Bertelsmann auf die „führenden deutschen Krankenhausexperten“.

  • Nun, die führenden Experten der Deutschen Krankenhaus-Gesellschaft, dem Verband der Krankenhaus-Direktoren und der Bundesärztekammer sind da gänzlich anderer Meinung. Die Bertelsmann Stiftung ist dafür bekannt, dass in ihren wissenschaftlichen Studien immer das Ergebnis herauskommt, dass öffentliche Aufgaben im Sinne der Allgemeinheit privatisiert werden sollten. Und der Inhalt dieser Studie zeugt nicht gerade von einer wissenschaftlichen Objektivität. Als Zielbild haben sich die Experten die Region Köln/ Leverkusen mit 2,2 Millionen Einwohnern vorgenommen und ausgerechnet, dass man dort mit 14 statt mit den vorhandenen 38 Akutkrankenhäusern auskommen könnte. Dies mag schon stimmen, aber das Ausdünnungsmodell ist doch wohl nicht auf den ländlichen Raum mit überdurchschnittlich vielen geriatrischen Behandlungsfällen und den langen Anreisewegen übertragbar.

Das vielgepriesene Modell der Dänen geht ja genau von einer solchen Zentralisierung der Versorgung aus, Ingo. Das könnte doch ein Vorbild für uns sein.

  • Wenn man endlich die Forderung „Krankenhäuser sind keine Profitcenter, sondern Teil der staatlichen Daseinsfürsorge“ der Ärztevereinigung Marburger Bund und das dänische Modell in der Realität ernsthaft umsetzen würde, sähe die Situation ganz anders aus. Alle größeren Krankenhäuser in Dänemark sind im Besitz der Kommunen oder des Zentralstaats und werden zu über 75% aus Steuermitteln finanziert. Die Neuordnung des Krankenhaussystems kostet rund sechs Milliarden Euro, in Deutschland wären dafür vergleichsweise fast achtzig Milliarden Euro notwendig.

Ich verstehe, Ingo. Aber haben nicht die Privatkliniken entscheidend demonstriert, dass man auch unter schwierigen Bedingungen mit einem guten Management schwarze Zahlen schreiben kann?

  • Ich würde es eher als „straffes“ Management bezeichnen, mal diplomatisch ausgedrückt. Und das Ziel ist eben nicht die schwarze Null, sondern eine kräftige Rendite aus dem Profitcenter. Und genau an diesem Punkt bekommt die Studie ein „Geschmäckle“, wie der Schwabe sich ausdrücken würde. Dr. Brigitte Mohn sitzt im Vorstand der Bertelsmann Stiftung und ist gleichzeitig Mitglied im Aufsichtsrat der Rhön-Privatkliniken AG mit einem Gewinn von 51 Millionen Euro.

Oh, so etwas nennt man wohl einen potenziellen Konflikt der Interessen.

  • Es geht noch weiter, Jupp. Bertelsmann besitzt eine Tochter: die „Arvato“ mit 68.000 Mitarbeitern und 3,8 Milliarden Euro Umsatz. Bekannt wurde Arvato durch seine Funktion als sogenannte Facebook-Müllabfuhr. 700 Mitarbeiter löschen im Berliner Büro die illegalen und unerwünschten Facebook-Einträge. Andererseits ist Arvato voll im IT-Geschäft mit Krankenhäusern und ärztlichen Praxen involviert. Schon 2013 wurde Arvato Systems mit dem Aufbau und Betrieb der elektronischen Gesundheitskarte beauftragt. Gerade letzten Monat verlängerte die GEMATIK den Vertrag mit Arvato für weitere acht Jahre. 

Interessant, mal die Hintergründe von diesen Aktionen zu hören. Eine verfilzte Landschaft, so kommt es mir vor. Aber Ingo, jetzt erkläre mir doch mal deinen eigenen Lösungsvorschlag. Wie verbessere ich das jetzige System, ohne die Versorgung auf dem Land zu gefährden?

  • Jupp. Für mich liegt das Grundübel in der Privatisierung des Krankenhaussektors: die Maximierung der Rendite geht vor dem Wohl des Patienten. Da wird unter diesem finanziellen Druck schon mal eine Operation ohne ausreichende Qualifikation des Chirurgen durchgeführt, nur damit man die hausinternen Umsatzvorgaben erfüllt.

Ich verstehe, dieses Nebeneinander von Überfluss und Mangel bestimmt Angebot und Nachfrage. Wir operieren zu viel, besonders bei den planbaren OPs etwa in der Orthopädie. In Dänemark und Schweden stehen zweieinhalb Klinikbetten pro 1000 Einwohner bereit, in Frankreich sechs und bei uns acht. Daher haben wir 50% mehr Kranke auf Station als in Schweden. Aber dort betreut eine Pflegekraft 8 Patienten, bei uns sind es 13.

  • Insofern sollten wir in Deutschland die Anzahl der Krankenhäuser optimieren, aber mit Sinn und Verstand. Krankenhäuser der Zentral- und Maximalversorgung sollten vorrangig hochspezialisierte Eingriffe durchführen, während die Knochenbrüche und Entfernung von Blinddärmen und Gallensteinen in den Kliniken der Grund- oder Regelversorgung vorgenommen wird. Bertelsmann wird die Existenzangst der Mitarbeiter im Gesundheitswesen weiter verstärkt: „Werde ich in ein paar Jahren überhaupt noch gebraucht?“

Auf jeden Fall hat unser Wirt noch viele Jahre eine Existenzberechtigung. Also nehmen wir ihm die Angst und bestellen uns noch ein Bier.

  • Jawohl, dann ein Prost auf die zukunftssicheren Arbeitsplätze.

 

Anstelle des üblichen Zitats:

Am Ende des Wirtschaftsjahres schickte das Finanzamt einen Steuerinspektor zur Prüfung in das lokale Krankenhaus. Während der Steuerinspektor die Ausgaben prüfte, wandte er sich dem Geschäftsführer des Krankenhauses zu und fragte:

„Ich sehe hier, dass Sie eine Menge Verbandsmaterial einkaufen. Was tun Sie eigentlich mit den Resten, die zu klein sind, um sie zu verwenden?“

„Gute Frage“, antwortete der Geschäftsführer. „Wir sammeln diese Reste und schicken sie an den Hersteller, und von Zeit zu Zeit schickt uns dieser dafür einen kostenlosen Karton mit Verbandsmaterial.“

„Oh“, entgegnete der Inspektor, ein bisschen enttäuscht darüber, auf diese ungewöhnliche Frage eine Antwort zu erhalten. Er machte jedoch weiter in seiner penetranten Art. „Und was ist mit diesen Pflaster-Einkäufen? Was machen Sie mit den Überbleibseln, nachdem ein Patient verpflastert wurde?“

„Ah ja“ erwiderte der Geschäftsführer, der begriff, dass der Inspektor ihn mit einer nicht zu beantwortenden Frage auf Glatteis führen wollte. „Wir sammeln die Reste und schicken sie zurück an den Pflasterhersteller und von Zeit zu Zeit erhalten wir dafür einen kostenlosen Karton mit Pflastern.“

„Aha“ sagte der Prüfer und dachte angestrengt darüber nach, wie er den „Ich weiß auf alles eine Antwort“-Geschäftsführer doch noch kriegen könnte und er fuhr fort. „Was machen Sie denn mit den ganzen Haut- und Organresten, die bei den Operationen anfallen?“

„Nun, auch hier verschwenden wir nichts“, antwortete der Geschäftsführer. „Wir heben alle diese kleinen Haut- und Fleischreste, Organteile und Gliedmaßen auf und senden sie ans Finanzamt.

Und einmal im Jahr schicken sie uns ein komplettes A.…loch!

(Quelle: anonym)

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