Über Whatsapp, Googlebrillen, Roboter und innovative Pillen

01.09.2014 09:00 von Ingo Nöhr

Wir danken dem Verlag MEDI-LEARN.net GbR für die freundliche Erlaubnis, Cartoons von Rippenspreizer verwenden zu dürfen. Mehr Cartoons sind unter http://www.medi-learn.de/cartoons/ zu finden.
Vielen Dank MEDI-LEARN.de!

„Hallo, Herr Wirt, wir brauchen mal schnell zwei Bier, aber nicht eins von der innovativen Sorte,  Bitteschön.“

Mein Freund Jupp gibt bei unserem Treffen in der Eckkneipe gleich das Thema vor. Augenscheinlich hat er sich über eine Innovation geärgert. „Jupp, was ist los? Ist bei Euch in der Familie neuerdings auch das Innovationsmanagement angesagt?“  Ich erinnerte mich noch gut an die letzte Kampagne, als Jupp die ISO 9001 zu Hause einführen wollte.  Sie scheiterte kläglich an den unterschiedlichen Sichtweisen zur Qualitätspolitik und deren Zielsetzungen.

„Nein, künftig werde ich mich zu Hause mit sämtlichen Managementmodellen zurückhalten. Ich habe einfach nicht das passende Umfeld dafür. Mit dem täglichen Krisenmanagement habe ich schon genug zu tun. Nein, schau Dir mal diese Produktwerbung an, die jetzt auf die deutschen Krankenhäusern losgelassen wird:  In den ersten zwei  Sätzen  kommen schon zehn englische Fachbegriffe vor, natürlich alle verknüpft mit dem Wort Management.“

„Typisches Protzmodewort. Viele kennen garnicht die ursprüngliche Bedeutung. Das Wort kommt aus dem Lateinischen von manus - die Hand. Somit ist managen nichts anderes als etwas handhaben. Wie ich hier erkenne, hat die Firma lediglich eine eingeführte Software als App auf ein Tablet gebracht, sodass die Ärzte und Pflegekräfte vor den staunenden Augen des Patienten mit den Fingern auf dem Schirm zwischen seinen Daten herumrühren können.“

„Das nennt sich jetzt Interoperabilitätsplattform zur Optimierung klinischer Workflows, mein Lieber. Die medizinisch-veredelte Ausgabe des Tablets kostet aufgrund dieses Labels bestimmt wieder das Drei- bis Fünfache eines baugleichen Gerätes im Handel.“

„Jupp, ich stelle mir gerade vor, wie die achtjährige Tochter des Patienten gerade zu Besuch ist und fragt:  Onkel  Doktor, hast du auch Whatsapp auf deinem Tablet? Kannst Du mir mal das Röntgenbild von Papa rüberschicken? Ich möchte es gerne ein bißchen photoshoppen…“

„Quatsch nicht, Ingo, es wird ja immer schlimmer. Schau mal eine Seite vorher: da wird das Patientenüberwachungs­system mit der Google-Datenbrille Glass kombiniert.  Du siehst als Chirurg während der Operation alle Vitalparameter in deiner Brille. Mit Sprachsteuerung kannst du dann weitere Daten abrufen.“

„Ja, Jupp, das ist doch praktisch. Du hast beide Hände frei und wenn dem Anästhesisten die Op zu langweilig wird, holt er sich einfach ein paar Loriot- oder Mr. Bean - Episoden auf den Schirm.“

„Mensch, Ingo! Kapierst du denn gar nichts? Der Narkosearzt braucht garnicht mehr im Op-Saal stehen. Kostendämpfung um jeden Preis ist jetzt angesagt.  Er kann seine Op und die von drei anderen Patienten gleichzeitig bequem in der Kantine fernüberwachen. Und wenn er eingreifen muss, gibt er dem Computer einfach ein paar Sprachbefehle wie  O2 erhöhen, absaugen, oder so.“

„Klar, oder so: ACHTUNG! VORHOFFLIMMERN BEI  PATIENT IN OP 2! DEFIBRILLATION MIT 150 JOULE. BITTE ALLE ZURÜCKTRETEN!  - Dann isst er sein Jägerschnitzel mit Püree genüsslich zu Ende.“

„Hier ist noch eine Innovation zur Kostendämpfung: ein neuer Wundverband. Der Verband kann bis zu sieben Tage getragen werden. Also weniger Pflegeaufwand und reduzierte Behandlungskosten. Schon kannst du drei teure Pflegekräfte freisetzen.  Es gibt schon Gesundheitsfunktionäre, die dem Pflegenotstand mit Robotern beikommen wollen.“

„Gestatten, mein Name ist R2D2. Darf ich Sie nun von der Bettpfanne herunterheben und Ihren Darmendausgang reinigen, verehrter Patient? – Die Stationsschwestern werden begeistert sein, vor allem, wenn der Patient 150 kg wiegt und Anzeichen von Demenz zeigt. Außerdem muss sich der Patient nicht so genieren, wenn jemand in der Nähe seiner  Geschlechtsteile herumfummelt. Also eine klassische  Win-Win-Situation, finde ich. Sei nicht so negativ mein lieber Jupp. Schließlich haben die Op-Roboter mittlerweile auch ihre Kinderkrankheiten überwunden und arbeiten ganz ordentlich.“

„Ingo, einer Innovation muss eine neue Idee zugrundeliegen. Die Übertragung des Einsatzes von Industrierobotern der Autoindustrie in die Krankenstation oder den Op-Bereich ist doch nur eine Kopie einer uralten Idee. Denk mal  an den Prager Golem. Oder an den weiblichen Maschinen­menschen, die Maria in Fritz Langs Metropolis von 1927.“

„Ja, also Jupp, wenn du das so streng betrachtest, gibt es garnicht soviel Innovationen in der Medizin. Die Einführung der Äthernarkose, die Entdeckung der Röntgenstrahlen, der CT, der MRT, das waren noch richtig innovative Meilensteine in der Medizintechnik.“

„Und der Nutzen für den Patienten ist grandios. Aspirin, Penicillin und die anderen Antibiotika. Ja, und erst die Antibabypille. Die hat die katholische Kirche fast in den Ruin getrieben. Plötzlich konnte man so richtig loslegen, wenn mal wollte. Und wenn man nicht mehr kannt, dann hilft heutzutage die Viagra-Pille. Welch eine Innovation.“

Ein seliges Lächeln zeigte sich in seinem bierschaumverschmierten Gesicht. Ich persönlich hoffe ja auf die nächste echte Innovation in der Pharmazie: die Fettweg-Pille. Aber wir kommen jetzt vom Thema ab.

Beim Durchstöbern der Fachzeitschrift war ich auf ein pfiffiges Produkt gestoßen: ein simpler Legionellenfilter eingebaut in der Zuleitung der Dusche. Anstatt mit riesigem Energie- und Personalaufwand die Legionellen im Wasserzuleitungssystem abzutöten, werden sie einfach von einem Bündel dünner Hohlfasermembranen bis zu einer Größe von 100 nm zurückgehalten. Nach 150 Tagen wird der Filter gewechselt. Großer Nutzen bei wenig Aufwand, aufgrund einer guten Idee.  So möchte ich meine Innovationen haben.    

Eigentlich ist diese Idee auch schon viel älter. Den Schmutz beseitigt man nicht, sondern fängt ihn mit einem Filter kurz vor dem Menschen ab. „Mother’s little helper“ sangen die Rolling Stones schon vor 50 Jahren, als das Valium gerade auf den Markt kam.  Knapp ein Drittel aller Männer trinken sich in Deutschland regelmäßig ihre Lebenssituation schön. Alkoholmißbrauch steht an dritter Stelle der Todesursachen. Die wirklich wirksamen Innovationen sollten in der Vermeidung von Krankheiten, Armut und Depressionen ansetzen.

Eine Anti-Gier-Pille, dass wäre die Super-Innovation!

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