Abschied von Vera Dammann

14.08.2013 21:32 von Manfred Kindler

Im Jahre 1978 traf ich in meinen ersten Studientagen an der damaligen Fachhochschule Gießen erstmals Vera Dammann. Sie betreute uns als wissenschaftliche Mitarbeiterin im elektrotechnischen Praktikum und lehrte uns Datenverarbeitung, Elektrotechnik, Elektrische Messtechnik, Biophysikalische Messtechnik und Medizintechnik.

Sie war die erste ausgebildete Ingenieurin für Biomedizinische Technik, die ich kennen­lernte. Im gleichen Alter wie ich empfand ich sie als beeindruckende Verkörperung meines Traumberufes. Was ich damals noch nicht ahnte: von nun an sollte sie meinen beruflichen Werdegang für die nächsten 35 Jahre begleiten.

Die kleine, aber selbstbewusste Frau, die sich unermüdlich unserer Verständnis­proble­me annahm, entwickelte sich für uns Studenten immer mehr zur „Mutter der Kompanie“ im positivsten Sinne der Bedeutung. Sie wurde durch ihr außerge­wöhnliches Engagement zum wichtigsten Knotenpunkt eines Netzwerkes aller Studenten und Absolventen der Gießener Hochschule.

Als fleißiges Energiepaket engagierte sie sich als Schatzmeisterin im Förderkreis Technisches Gesundheitswesen, organisierte dessen jährliche Fachtagung der Medizin-Ingenieure, gründete zusammen mit einigen Mitstreitern den Fachverband Biomedi­zinische Technik (fbmt) und initiierte die Gründung des Dachverbandes Medizinische Technik (DVMT) sowie der europäischen Vereinigung EURACLE (European Alliance of Clinical Engineering).

Unermüdlich kämpfte sie in der Deutschen Gesellschaft für Biomedizinische Technik (DGBMT), im Verein Deutscher Ingenieure (VDI), im Arbeitskreis Technik in der Medizin der Fachhochschulen und in vielen anderen Gremien für das Berufsbild des Medizin-Ingenieurs. Immer an der Front, aber bescheiden im Hintergrund. Sie war kein Mensch, der im Rampenlicht stehen wollte, mied die Fotografen, war aber trotzdem allgegen­wärtig und ihr positiver Einfluss war nie zu übersehen.

Nach außen hin erschien sie manchen als kühle Funktionärin, fachlich und sachlich immer bestens vorbereitet, leise aber bestimmt ihre Meinung vertretend, kämpferisch in der Verteidigung ihrer grundsätzlichen Positionen, aber dabei niemals beratungs­resistent.

Trotz ihrer extrem hohen Arbeitsbelastung war sie ständig für die Fragen, Ideen und Nöte ihrer Kollegen, Studierenden, Verbandsmitglieder und Freunde erreichbar. Sie kannte fast jeden Absolventen der FH persönlich, wusste über seinen weiteren Werde­gang Bescheid und vermittelte unzählige hilfreiche Kontakte.

Sie regte meinen Eintritt in den fbmt an, was eigentlich eine große Leistung darstellt, da ich damals wie die meisten Kommilitonen ein großer Vereinsmuffel war. Sie schubste mich regelrecht in die Kandidatur für den Vorstand und begleitete mich viele Jahre als unersetzliche Beraterin und zuverlässige Schatzmeisterin in meinem Amt als fbmt-Vorsitzender. Sie vermittelte mich in die Zertifizierungskommission der IFMBE (Inter­national Federation of Medical and Biological Engineering) für Clinical Engineers, die bei der DGBMT angesiedelt war. Durch sie erhielt ich Eingang in viele Gremien, denn eine Referenz von ihr war Gold wert und öffnete wichtige Türen.

Vor zehn Jahren empfahl sie mich als Gutachter einer Akkreditierungsstelle für die Bachelor- und Masterstudiengänge im Medizintechnikbereich. Im unregelmäßigen Austausch mit ihr über meine Erfahrungen wurde mir deutlich, wie sehr sie seit Jahren an der problematischen Entwicklung des Studienganges und Berufsbildes Biomedizin-Ingenieurwesen litt. Die extreme Verschulung durch das Bologna-Modell erlaubt den heutigen Studierenden kaum noch ein tieferes Verständnis der vermittelten Inhalte.

Ein selbstgestalteter Studienplan wie zu meiner Zeit ist nicht mehr möglich, die ökonomische Effizienz hat zu Lasten der Qualifikation die Priorität erhalten. Der weltweit geschätzte deutsche Diplom-Ingenieurtitel ist tot, aus politischer Kurzsich­tigkeit aufgegeben, ein unnötiges Opfer der Globalisierung. Vera beklagte sich immer wieder über das sinkende Niveau im deutschen Hochschulwesen und bemühte sich aber trotzdem mit allen Kräften, den Studenten in diesem härter werdenden Umfeld das grundlegende Know-how eines gestandenen Biomediziningenieurs zu vermitteln.  

Im fbmt sah sie als Kommissionsmitglied in der Zertifizierung von erfahrenen Medizin­technikern (Mtcert) und als Leiterin der Fachgruppe „Qualitätsmanagement der Medizintechnik im Krankenhaus“ noch Möglichkeiten, ihre Vorstellungen aktiv einzubringen. 

Jahr für Jahr war sie so ein integraler Bestandteil im Wirken der Akteure für eine Ver­besserung des Berufsfeldes des Medizin-Ingenieurs und wir hatten uns längst an die selbstverständliche Nutzung ihres Erfahrungsschatzes gewöhnt. Sie war einfach immer da, wenn wir sie brauchten. Sie war längst eine Institution, nicht mehr wegzu­denken.

Dann platzte letztes Jahr die Nachricht von ihrer schwerer Erkrankung in unsere heile Welt. Vera ist krank, das konnte doch nicht sein. Nicht bei diesem unzerstörbaren Energie­­bündel. Keiner konnte sich erinnern, das Vera jemals wegen einer Krankheit ausgefallen ist. Sicherlich nur eine vorübergehende Episode bei den heutigen Therapie­möglichkeiten. Wir wollten doch ihre vorgezogene Pensionierung im Frühjahr 2013 gebührend feiern.

Jetzt habe ich die Meldung von Deinem verlorenen Kampf vor Augen. Vera starb am 1. August 2013. Sie ist tot. Diese drei Worte sind nur schwer zu begreifen.

Vera, was machst Du?! Ich hatte schon aufgrund der hoffnungsfrohen Entwicklung in den letzten Monaten mit Deiner Rückkehr gerechnet. Fassungslos stehe ich nun vor der Tatsache, dass es Dich nicht mehr geben wird. Es ist ein Gefühl, als hätte ich plötzlich meinen rechten Arm verloren. Unsere Welt wird nicht mehr so sein wie früher.

Aber einen kleinen Trost habe ich: Du wirst mir und Hunderten von meinen Kollegen überall in den Ergebnissen Deines Lebenswerkes begegnen. Und daraus ergibt sich für uns alle die Verpflichtung, Deinen Einsatz weiterzuführen. Wo immer Du auch jetzt sein magst, schicke uns etwas von Deiner Energie und Deinen Ideen.

Adieu liebe Vera. Vielen Dank für Deine Jahre hier auf Erden und für Dein uneigen­nütziges Wirken für das Fachgebiet  Biomedizinische Technik und für uns alle.

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Kommentar von Adi N. | 04.11.2013

Ein sehr schöner Beitrag - in 2002 wie in 1978 bemühte sich Fr. Damann unermüdlich um uns Clinical Engineering/Medizintechnik Studenten. Am Anfang empfanden wir sie als hart, jedoch mit der Zeit wurde es uns klar dass sich wenig andere Lehrkräfte an der FH derart bemüht waren, uns auf die Berufswelt vorzubereiten. Sie hat auch nicht wenigen Kollegen ihren ersten Eintritt in den Beruf verschaffen. Ich traf sie ca. 1 Jahr nach meinem Abschluss wieder, wir haben uns knapp 2 Stunden unterhalten - damals war sie aus ihrer ersten Therapie gesund raus. Insofern war es für mich ein Schock, von ihrer erneuten Erkrankung und darauf folgenden Abschied zu erfahren.

Ein immenser Verlust und eine beispielhafte Dame! Sehr schade, dass es sie nicht mehr gibt.

Kommentar von Gunter | 03.02.2014

ich habe gerade durch Zufall vom Tode Frau Dammanns erfahren. Als ehemaliger Student habe ich ihren Einsatz fuer den fbmt mit grosser Bewunderung verfolgt und sie sowohl als Menschen als auch als Fachkraft schaetzen gelernt. Adieu liebe Vera....Danke fuer alles

Kommentar von gerhard | 06.11.2014

war heute nach 25Jahren im Ausland zum ersten mal wieder Giessen und die Nachricht traf mich wie ein Keulenschlag. Wollte eigenltich wieder an alter Verbindungen anknuepfen, hatte mit ihr wor ein paar Jahren noch ueber eim moegliches Projekt mit der alten FH diskutiert und gehofft das sie mich den richtigen Leuten vorstellen koennte, aber nicht das die "Seele des Fachbereichs" nicht mehr da sein wuerde.
Danke fuer den Nachruf.