EU-Rat hat gemeinsamen Standpunkt zu Medizinprodukte-Vorschriften vereinbart

21.06.2015 16:16 von Rudi Wuttke

Viel oberflächliche Kosmetik statt tiefgreifender Maßnahmen

Nach mehrjährigen Verhandlungen haben sich die EU-Gesundheitsminister am 19. Juni 2015 bei ihrer Sitzung in Luxemburg auf eine gemeinsame Position zu den Verordnungen über Medizinprodukte bzw. In-vitro-Diagnostika geeinigt. Damit ist der Rat ein Stück auf dem Weg zu Gesprächen mit dem Europäischen Parlament vorangekommen, allerdings bleibt bis dahin immer noch sehr viel zu tun.

Deutschland hat als einziges Land der Übereinkunft nicht zugestimmt, u.a. weil es den Einfluss der Behörden auf den Marktzugang noch nicht hinreichend geregelt sieht. Auch wenn die lettische Ratspräsidentschaft die erzielte Zustimmung kurz vor dem Ende ihrer Amtszeit als Erfolg darstellt, muss sie doch einräumen, dass innerhalb des Rates zunächst noch verschiedene Bearbeitungsprozesse ausgeführt bzw. abgeschlossen werden müssen. Denn die Beschlusstexte sind bisher weder ausgereift noch widerspruchsfrei.

Gespräche zwischen Rat und Parlament werden vorbereitet

In verschiedenen Bereichen ist die gemeinsame Position mehr eine diffuse Grauzone denn eine saubere Linie. Wenn der Rat die redaktionellen Verbesserungen verbindlich vorgelegt hat, was in Anbetracht des Umfangs der Entwürfe von jeweils mehreren hundert Seiten kein einfaches Unterfangen ist, kann er die geplanten Gespräche mit dem Europäischen Parlament aufnehmen. Diese lassen zudem noch eine Menge weiterer Kontroversen erwarten.

Das EU-Parlament hat schon im April 2014 eine Entschließung zu den Verordnungen über Medizinprodukte und über In-vitro-Diagnostika verabschiedet, welche die EU-Kommission bereits im September 2012 als Entwurf vorgelegt hatte. Die beiden Verordnungen sollen die bisherigen Richtlinien über aktive Implantate, Medizinprodukte und In-vitro-Diagnostika ablösen und nach einer Übergangszeit in den Mitgliedstaaten direkt Gültigkeit erlangen.

Die lettische Präsidentschaft wertet die Zustimmung als entscheidenden Schritt vorwärts zur Verbesserung der Patientensicherheit und zur Stärkung der europäischen Wettbewerbsfähigkeit. Als Gründe dafür nennt sie insbesondere, dass der Rat

  • die Regeln für die Zulassung der Benannten Stellen und die Überwachung ihrer Aktivitäten durch die zuständigen nationalen Behörden verschärft hat,
  • die Verantwortlichkeiten der Hersteller ergänzt hat, um die Qualität, Leistungsfähigkeit und Sicherheit von bereits auf dem Markt eingeführten Produkten zu verfolgen, 
  • die Anforderungen an die klinischen Prüfungen mit Blick auf die Zuverlässigkeit der klinischen Daten erhöht und dabei seine Anstrengungen in besonderem Maße auf den Schutz der Studienteilnehmer konzentriert hat.

Mehr Transparenz für Patienten und bessere Rückverfolgbarkeit

Patienten sollen zu Implantaten alle wesentlichen Produktinformationen erhalten und auch alle erforderlichen Hinweise zu möglicherweise notwendigen Vorsichtsmaßnahmen.

Hersteller müssen ihre Produkte in Zukunft mit einer einmaligen Produktnummer versehen, beispielsweise per Laserbeschriftung (UDI - Unique Device Identifucation). Auch müssen sie sich dann selbst und ihre Produkte, welche sie im EU-Markt vertreiben wollen, in entsprechende Datenbanken eintragen. Gleiches gilt für Importeure. Zudem sollen die Hersteller auf einem entsprechenden EU-Portal über schwerwiegende Vorkommnisse berichten und die korrektiven Maßnahmen darlegen, welche sie ergriffen haben, um das Risiko von Wiederholungen zu reduzieren.

Verschiedene Kosmetikprodukte sollen in die Vorschriften einbezogen werden, obwohl sie keinen medizinischen Verwendungszweck aufweisen (Artikel 1, Absatz 1a und Anhang XV des Entwurfs der Medizinprodukte-Verordnung). Hierbei handelt es sich zunächst einmal um bestimmte Kontaktlinsen und hautfüllende Substanzen, aber auch um Geräte zur Entfernung von Fettgewebe, zum Abtragen von Hautschichten und zur transkraniellen Stimulation des Gehirns.

Anmerkung:
Einige der nun angekündigten Maßnahmen sind auch bereits jetzt nach geltendem Recht eigentlich vorgesehen. Die Entwürfe sind mit einer riesigen Masse an Text ausgestattet, die notwendige inhaltliche Klasse ist aber in manchen Passagen leider nicht erkennbar ist. Wesentliche Ursachen der in den letzten Jahren bekannt gewordenen Sicherheitsprobleme, wie etwa eine zu starke Abhängigkeit der Benannten Stellen von ihren Auftraggebern, sind bisher nicht wirklich behoben worden. Die Einbeziehung von bestimmten Kosmetikprodukten, welche das vielschichtige und komplizierte Rechtgebiet noch unübersichtlicher gestalten, kann vor diesem Hintergrund als symptomatisch gewertet werden.


Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über Medizinprodukte und zur Änderung der Richtlinie 2001/83/EG, der Verordnung (EG) Nr. 178/2002 und der Verordnung (EG) Nr. 1223/2009, Artikel
http://data.consilium.europa.eu/doc/document/ST-9769-2015-INIT/de/pdf

Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über Medizinprodukte und zur Änderung der Richtlinie 2001/83/EG, der Verordnung (EG) Nr. 178/2002 und der Verordnung (EG) Nr. 1223/2009, Anhang
http://data.consilium.europa.eu/doc/document/ST-9769-2015-ADD-1/de/pdf

Proposal for a Regulation of the European Parliament and of the Council on in vitro diagnostic medical devices, 12. Juni 2015
http://data.consilium.europa.eu/doc/document/ST-9770-2015-INIT/en/pdf

Bericht zum Sachstand vom 5. Dezember 2014:
EU-Rat hat geplante Vorschriften für Medizinprodukte diskutiert -
Das Medizinprodukterecht bleibt eine unendliche Geschichte
http://www.medizintechnikportal.de/index.php/news/items/eu-rat-hat-geplante-vorschriften-fuer-medizinprodukte-diskutiert.html

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